Petra Wagner war seit dem Jahr 2000 Mitarbeitende im ISTA. Sie brachte den Anti-Bias-Ansatz von Louise Derman-Sparks mit ans Institut und entwickelte daraus gemeinsam mit Kolleg*innen den Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung (VBuE). Von 2010 bis 2021 war Petra Direktorin im ISTA und von 2009 bis 2024 Leitung der Fachstelle Kinderwelten im ISTA. Auch ist Petra Gesellschafterin der INA. Nun geht Petra zum Ende 2024 in den Ruhestand.

Petra, du hast auf unterschiedlichen Ebenen Einfluss genommen auf Diskursräume in unserem Feld. In Anlehnung an Uri Bronfenbrenner und Ulrike Geis, die aus dessen Modell den „Analysekuchen“ entwickelt hat, will ich deine Einflusssphären beschreiben.

Bronfenbrenner geht davon aus, dass verschiedene Gruppen oder Ebenen Kinder/Menschen in ihrem Aufwachsen beeinflussen. Ich würde das Modell in diesem Fall eher umdrehen und den Einfluss beschreiben den du, liebe Petra, meiner Meinung nach, auf die verschiedenen Ebenen und Gruppen hast und hattest.

In der Mitte steht beim Analysekuchen immer „das Kind“ mit seinen Eigenschaften, Themen und Bedürfnissen. Bei dir, Petra, fallen mir hierzu ein: großes Bedürfnis nach Gerechtigkeit, Überblick übers Ganze, Kampf gegen Diskriminierung, engagiert, argumentationsstark, lebenslustig…

Petra und die Fachstelle Kinderwelten

Gemeinsam mit anderen hast du, liebe Petra, die Fachstelle Kinderwelten gegründet. Sie sollte eine Anlaufstelle sein für Menschen, die an der Überwindung von Diskriminierung in der Frühpädagogik (und in unserer Gesellschaft) arbeiten. Sie sollte Wirkung entfalten und eine andere, vorurteilsbewusste, diskriminierungskritische Pädagogik in die Kitas bringen. Hierzu hast du in den drei Kinderweltenprojekten vor der Gründung der Fachstelle, aber auch danach stetig und sehr erfolgreich gearbeitet. Der Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung ist weithin bekannt in der deutschen Kita-Szene, viele Menschen in Kitas, in Beratungspositionen und in Steuerungspositionen arbeiten damit oder setzen sich damit auseinander. Als Grundlage für alle Sprachkitas habt ihr mit der Praxisreihe Inklusion handhabbares Material für die Kitas entwickelt, mit dem sie daran arbeiten können, den Ansatz umzusetzen und sich dazu zu reflektieren.

Mit dem Kompetenznetzwerk und seiner Förderung durch ‚Demokratie leben!‘ auch in der nächsten Förderperiode ist es dir und euch gelungen, diesen erfolgreichen Prozess weitertreiben zu können.

Dabei hat sich der Diskurs und die Auseinandersetzung mit VBuE über die Jahre sehr verändert, wenngleich der Kern der vier Ziele immer erhalten blieb. Durch deine fortwährende Auseinandersetzung mit Theorie, Praxis und auch eigenen Erfahrungen, und durch die Impulse, die die Kolleg*innen in der Fachstelle eingebracht haben, hat sich der Ansatz, aber auch deine Position vertieft und gestärkt. Es hat mich sehr beeindruckt, wenn du in unseren „Leitungsmeetings“ von mancher dieser Erkenntnis- und Lernprozesse berichtet hast.

Strukturell hast du, liebe Petra, in deiner Zeit als Leitung der Fachstelle auch sehr wirtschaftlich gedacht. Dir ist gelungen, ein breites Potpourri an Geldquellen zu erschließen und die Fachstelle immer nachhaltiger werden zu lassen. Außerdem hast du sehr erfolgreich Projekte akquiriert und damit auch vielen Menschen einen Arbeitsplatz ermöglicht, die sich in die Entwicklung der VBuE einbringen wollten.

In dieser ganzen Zeit, in der wir miteinander gearbeitet haben, war es dir stets ein bisschen unangenehm, wenn diese Leistungen als deine Leistungen angepriesen wurden. Dir war und ist es wichtig, dass die Gruppenanstrengungen, die in solchen Prozessen stecken, wahrgenommen werden. Auch hast du immer dafür gekämpft, dass Menschen mitentscheiden und die Organisation gerechter und diverser aufgestellt wird. So hast du als Teil der Leitungstätigkeit immer auch daran gearbeitet diese Leitungsrolle überflüssig zu machen, die Machtstrukturen in der Organisation aufzudecken und abzubauen. Manchmal hast du davon gesprochen, wie frustrierend es ist, dass das so schwierig ist. Nichtsdestotrotz ist es gelungen, das neue Institut mit einer anderen Struktur aufzusetzen, mehr Menschen in Verantwortung zu haben und geteilte Entscheidungsprozesse zu etablieren. So scheinen die Mühen erfolgreich gewesen zu sein.

Petra und das ISTA

Da die Kinderweltenprojekte und auch die Fachstelle Teil des ISTA waren, war es klar, dass du dich im Institut auch sehr engagierst. So hast du am QuaSi-Buch mitgedacht und warst bei der Entwicklung des Berliner Bildungsprogramms und der anderen Bildungsprogramme beteiligt. Außerdem hast du auf organisationaler Ebene wesentlich Arbeit ins ISTA eingebracht. In der Zeit, in der es keine größeren Projekte zum Sita oder zu Qualität im ISTA gab, konnte das ISTA ja nur überleben und hatte einen Ort, weil du, Petra, dafür gesorgt hast, dass zumindest die Infrastruktur lebendig bleibt und die externen Fortbildner*innen zu Qualität und zum Sita einen Anker hatten. Als du dann Direktorin warst, hast du stetig an der finanziellen Situation des ISTA gearbeitet und Organisations- und Verwaltungsstrukturen aufgebaut oder optimiert.

Dabei hast du dich auch stark eingebracht in die Auseinandersetzungen, die wir auf der INA-Ebene hatten und maßgeblich den Veränderungsprozess in der INA zu gerechteren Eigentumsbedingungen und einer wertschätzenden und ressourcenorientierten Kultur des Umgangs mitangestoßen.

Im ISTA haben wir viele Jahre gemeinsam auf das Ganze geguckt und ich habe viel gelernt von deinen Fragen, deiner Art zu leiten, unseren gemeinsamen Prozessen zum Leitungsverständnis, auch aus den Konflikten, die wir miteinander hatten. Vor allem begeistert mich deine Art zu reflektieren und Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen und zu hinterfragen. Auf diese Fachgespräche schaue ich mit großer Freude zurück und ich hoffe, es kommen noch so manche dazu!

Petra und der Sita

Deine Praxis, so reime ich mir aus deinen Erzählungen zusammen, ist stark geprägt von der Haltung zum Kind und zu Familien aus dem Situationsansatz. Besonders in den ersten Kinderweltenprojekten war die Kombination von Anti-Bias-Ansatz und Situationsansatz ja auch sehr lebendig greifbar.

Mit der Zeit hat sich die Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung, aus meiner Sicht, vom Sita gelöst und sich immer eigenständiger entwickelt. Für die VBuE und die notwendige Botschaft ins Feld, Diskriminierungen ernst zu nehmen und daran zu arbeiten, dass sich dies verändert, war das wahrscheinlich ganz gut. VBuE in ihrer intersektionalen und machtkritischen aktuellen Ausrichtung ist unabhängig von einem pädagogischen Ansatz relevant in unserer Gesellschaft.

Für den Sita finde ich es ein bisschen schade, dass es uns nicht gelungen ist, mehr von euren fachlichen Diskursen und Impulsen zu profitieren. Wir nehmen den Faden allerdings jetzt mit Kraft auf und hoffen, dass wir diese Dimension im Sita in Zukunft gut füllen werden.

Die wertvollen Fachdiskurse, die wir beide geführt haben, konnten wir nicht ausweiten und mit anderen führen. Das hätte sicherlich in beide Richtungen noch viel mehr produktive Wirkung entfalten können. Aber letztlich müssen wir uns hier, wie auch an mancher Stelle in unserem gemeinsamen Prozess, eingestehen, dass die Zeit und die Ressourcen einfach nicht immer für alles Wichtige reichen.

Petra und das Feld der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE)

Bei „Petra und die Fachstelle Kinderwelten“ habe ich schon über die Wirkung von deiner Arbeit im Feld der FBBE berichtet. Ich denke, wir können das nicht genug hervorheben, wie wertvoll deine vielen Texte und Bücher für die Verbreitung der VBuE und die Implementierung der diskriminierungskritischen Ideen im Feld waren. Eine Zeitlang bist du auch unermüdlich durch die Lande getourt, um über Vielfalt, Inklusion, Antidiskriminierung und vieles mehr zu sprechen, Menschen damit in Kontakt zu bringen und fürs Reflektieren und Handeln zu begeistern. Mit der Zeit habt ihr/ hast du mit der Ausbildung von Multiplikator*innen zur Vorurteilsbewussten Bildung dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen auch das tiefe Wissen und Verständnis für den Ansatz haben und ihn auch verbreiten. Auch über den deutschen Kontext hinaus hast du, Petra, an Ideen und Netzwerken mitgearbeitet und von ihnen profitiert, z.B. in DECET.

Natürlich, um noch mal auf die eigentliche Idee des Bronfenbrenner-Modells zurückzukommen, haben dich Diskurse und Ideen, Erlebnisse und Erfahrungen auf den verschiedenen Ebenen auch wiederum beeinflusst und die Ebenen sich untereinander auch.

Ich hoffe, dass diese Wechselwirkungen aus deiner Sicht wert- und genussvoll waren und du mit Stolz und Zufriedenheit auf deine 25 Jahre in diesem Kontext zurückblickst.

Relativ spät hat Bronfenbrenner seinem Modell noch den Aspekt Zeit hinzugefügt. Vielleicht ist das in diesem Modell für dich, Petra, auch noch eine relevante Größe: Natürlich, weil du älter geworden bist und die Welt sich verändert hat, und dieses die Auseinandersetzungs-Prozesse zwischen dir und den verschiedenen Ebenen beeinflusst hat. Ich assoziiere Zeit aber auch mit Veränderung, Entwicklung und Wandel. Dies sind Eigenschaften, die ich bei dir in ausgeprägten Maße erlebt habe. Du hast dich immer wieder neu eingestellt auf neue Bedingungen, warst offen für Veränderungen und hast unsere Organisation gestaltet und weiterentwickelt. Auch für dich selbst hast du diese Bereitschaft zur Veränderung und Entwicklung gelebt.

Es war mir eine Freude und Ehre an manchen dieser Denkprozesse teilhaben zu können und ich danke dir außerordentlich für die Impulse, die du zu meiner Entwicklung beigetragen hast.

Für deinen weiteren Weg wünsche ich dir viele weitere Entwicklungen und neue Erkenntnisse – ohne die Verantwortungslast, den Zeitdruck, das „Zuviel“!

Alles Liebe

Katrin Macha

am 19.12.2024

[Hier klicken, um die Würdigung als PDF herunterzuladen.]